Ein Rückblick – und eine mega Party ….
An meine eigene Schulzeit erinnere ich mich noch gut. Meine Schule war ein riesiger Backsteinbau von über 100 Jahren. Der Schulhof immer im Schatten bei so viel Mauerwerk. Die Bilder in den Fluren hatten noch meine eigenen Eltern gemalt. Alles roch nach langer Erfahrung, nach Tradition und nach einer gewissen Unerschütterlichkeit. An das Lehrerzimmer klopften wir nur mit wirklich gutem Grund. Genauso altehrwürdig wie die Schule waren meine Lehrerinnen und Lehrer, die oft schon meine Eltern unterrichtet hatten und die uns manchmal mit Güte, oft aber mit großer Distanz begegneten. Ich mochte meine Schule, aber sie erschien mir immer wie eine unverrückbare Institution, eine dieser naturgegebenen Einrichtungen, die man hinnehmen musste wie sie eben waren. Unvorstellbar wäre mir das gewesen, was unsere Gründungsmütter vor zwölf Jahren in den Blick nahmen. Unvorstellbar, dass unsere Schullandschaft einmal so bunt sein kann und auch sein darf. Als sich Frau Dr. Elke Schumann und ihre Mitstreiterinnen – unter anderem Uta Mischke, Diana Ulbricht, Ines Sperlich, Susan Weidenhagen und Daniela Adolphson– zusammenfanden, waren sie alle Mütter von Grundschülerinnen und Grundschülern. Ihr Wunsch nach einer weiterführenden Schule für ihre Kinder ließ in ihnen die Idee reifen, eine eigene zu gründen. Ihnen war klar, dass eine Schule mehr können muss, als reines Wissen zu vermitteln. Ihr Interesse bestand in gelingender ganzheitlicher Bildungund an einer Schulgemeinschaft, die von Achtung, Respekt, Toleranz und Solidarität getragen wird. Sie waren mutig, hartnäckig und auch ein ganz klein wenig wahnsinnig. Denn wer einmal die bürokratischen Mühlen staatlicher Bildungseinrichtungen kennen gelernt hat, der weiß, dass Schulgründerinnen und –gründer wirklich starke Nerven und einen langen Atem brauchen. Wie viel Kaffee da am nächtlichen Küchentisch geflossen sein mag! Wie viele Diskussionen, Einfälle und Ideen, die hin und her gewälzt wurden! Zweifel und Skepsis schlug ihnen entgegen – wer braucht schon in Riesa eine weitere Schule? Und gleichzeitig so viel Vertrauen und Unterstützung auf den unterschiedlichsten Seiten, nicht zuletzt von den Eltern der Gründungsklasse, die damals nicht wussten und nicht wissen konnten, ob dieses Experiment funktionieren wird. Es hat funktioniert! Mit Christin Tellisch als Schulleiterin, die heute als Professorin für Hochschulpädagogik die deutsche Bildungslandschaft auf noch ganz andere Art und Weise prägt. Es waren ihre pädagogischen Überzeugungen und Visionen, welche die Schule in den Anfangsjahren getragen haben. Von dem immensen Arbeitspensums, das sie in die Schule steckte, ganz zu schweigen: Ihre 4.00 Uhr e-Mailsan das Kollegium waren legendär. 2011 zog die 5. Klasse des Rudolf Stempel Gymnasiums in die Räume der ehemaligen Managementakademie Riesa auf der Klötzerstraße ein. Die Kolleginnen und Kollegen der ersten Stunde waren wahre Multitalente, unterrichten unzählige Fächer, schufen kreative Projektwochen, arbeiten nebenher als Sekretärin und stampften das Lernbüro aus dem Boden. Ich kann mich noch an mein erstes Telefonat mit Uta Mischke erinnern, die eigentlich nur mein Geburtsdatum für die Personalakte erfragen wollte und mich sofort in ein Gespräch über die Besonderheiten des Accusativus cum Infinitivo – eine der lateinischen Grundkonstruktionen – verwickelte.Sie hatte nämlich eben dazu eine Unterrichtsstunde für eine ausgefallene Kollegin gehalten. Und als ich sie vollkommen irritiert fragte, ob sie auch Lateinlehrerin sei, meinte sie nur, nein, aber wenn Not am Mann ist, spring ich ein. Ohne diese unwahrscheinliche Tatkraft, ohne diese Furchtlosigkeit – und vor dem sogenannten AcI kann man durchaus Angst haben -, ohne dieses Engagement lässt sich eben keine Schule gründen. Vier Probejahre bis zur staatlichen Anerkennung durch das Bildungsministerium des Freistaates Sachsen waren zu überbrücken, vier Jahre immenser finanzieller Anstrengungen. Mit der Unterstützung der Eltern wurde auch dies geschafft. Drei Umzüge wurden gestemmt, unzählige Kisten gepackt und getragen, Stühle und Tische geschleppt bis die Schule hier in der Langestraße einziehen konnte. Seit 2015 ist das Rudolf Stempel Gymnasium staatlich anerkannte Ersatzschule, die Abschlussprüfungen abnehmen darf. Und jedes Mal, wenn wir dachten, wir haben es geschafft, kam wieder etwas Neues auf uns zugerollt: das erste Mal Streicherklasse, das erste Mal das Naturwissenschaftliche Profil mit künstlerischem Abschluss, das erste Mal Facharbeit in Klasse 9, das erste Mal Abschlussprüfungen in Klasse 10, das erste Mal Oberstufe, das erste Mal Abitur. Lange Zeit alles zum ersten Mal! Immer wieder Aufbruchstimmung, immer etwas Neues! Wir haben in diesen 10 Jahren so vieles gewonnen: neue Kolleginnen und Kollegen mit frischen Ideen oder mit viel Erfahrung, neue Schülerinnen und Schüler, die sich gemeinsam mit ihren Eltern in das Schulleben einbringen, neue Partnerschaften für Projekte, wie Michael Schanz und seine Streuobstwiese. Auszeichnungen wie den Kinderrechte-Preis der Unicef oder den Sächsischen Schulpreis in der Kategorie „Persönlichkeit macht Schule“. Einige Dinge haben wir verworfen und neu gestaltet: das Lernbüro ist differenziertem Unterricht und Teamteaching gewichen. Der Fächerverbindende Grundkurs „Auf dem Weg ins Berufsleben“ ersetzt das Fach GRW. Englisch ist unsere wichtigste Fremdsprache geworden und wird auch im Leistungskurs unterrichtet. Der bilinguale Unterricht wird weiter entwickelt. Die Schule konnte in den letzten zwei Jahren dank großzügiger staatlicher Förderprojekte mit neuer Technik und digitalen Medien ausgestattet werden. Und wir haben so einiges verloren: ein klein wenig unsere mitunter Rosa-Rote-Brille; Kolleginnen und Kollegen, die neue und andere Wege eingeschlagen haben oder endgültig in den verdienten Ruhestand gegangen sind. Inzwischen drei Abschlussklassen, die wir mit Stolz, aber auch mit sehr viel Wehmut ziehen lassen mussten. Und einiges ist geblieben, von der ersten Stunde an: Unsere persönliche Bindung an die Schülerinnen und Schüler, deren Entwicklung uns am Herzen liegt und denen wir Kraft und Mut mitgeben möchten, ihr Leben in die Hand zu nehmen und selbst zu gestalten. Der unbedingte Glaube an das Potential jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen, die uns immer wieder mit großartigen Leistungen überraschen. Der Weg zum Schulabschluss ist manchmal steinig: Scheitern und Wieder-auf-stehen, Bestehen und doch wieder vor neue Probleme-gestellt-werden sind an der Tagesordnung. Aber genau dafür muss Schule da sein: Fehler machen zu dürfen und aus ihnen zu lernen, eben wachsen zu können, in einem Raum, der bewertet, aber auch unterstützt, fördert und fordert. Eben Bildung auf Augenhöhe mit Herz, Hand und Verstand. Unsere Schülerinnen und Schüler kommen dabei mit so unterschiedlichen Voraussetzungen, mit Handycaps und ohne, mit Ängsten und Hoffnungen. Schule kann nur gelingen, wenn alle eingebunden werden, wenn sich alle in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen und gewertschätzt fühlen. Und so darf es niemals heißen „Leistungsprinzip statt Inklusion“, wie es uns in den letzten Wochen auf einigen Wahlplakaten entgegengesprungen ist, sondern es muss heißen „Leistung durch Inklusion“. Unsere Gesellschaft kann und darf auf niemanden verzichten. Wir alle wissen: Gesellschaftliche Teilhabe ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. Menschen, die selbst bestimmt leben, werden unsere Gesellschaft tragen und stützen. Vielfalt und Anderssein sind keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung für uns alle. Was wird in den nächsten 10 Jahren auf uns warten? Die Herausforderungen werden nicht weniger!!! Das Lernen weiter zu individualisieren, passgenaue Konzepte für jeden zu kreiren, wird eine Aufgabe sein. Problemlösestrategien zu vermitteln, um in dieser unübersichtlichen und fordernden Welt bestehen zu können, muss uns noch stärkeres Anliegen in unserer schulischen Arbeit werden. Noch wichtiger aber – und das zeigt uns die Coronakrise – wird es sein, die Resilienz von Heranwachsenden zu fördern. Mehr denn je spüren wir, dass der Vereinzelung und sozialen Isolation des Menschen funktionierende Gemeinschaften entgegen gesetzt werden müssen. Dass junge Menschen in all ihrer Individualität das Gemeinsame brauchen. Wir sehen, dass den digitalen Welten reale Erfahrungen, reales Leben, reale Verantwortung entgegengesetzt werden müssen. Und so halten wir fest an dem Unterrichtsfach Verantwortung in den Klassen 7 und 8, die Erfahrung im sozialen Engagement ermöglicht. Wir halten fest an der fünftägigen Herausforderung in Klasse 10, in der sich jeder seinen persönlichen Zielen widmet, sei es dass man eine Erzählung schreibt und illustriert, sei es dass man mit dem Fahrrad bis nach Berlin fährt und seine körperlichen Grenzen austestet. Wir halten fest an jedem Anlass, den wir gemeinsam in der Schulgemeinschaft begehen können. Und so werden wir am Ende des Schuljahres gemeinsam mit der gesamten Schule drei Tage auf Schulfahrt gehen, um nach diesen zwei krisengeschüttelten Jahren das zu feiern, was wir haben und um das zu feiern, was wir noch werden können.Ein großes Dankeschön an alle, die unsere Schule seit ihrer Gründung unterstützen.